Wagen wir einen neuen Blick auf ein altes Thema? Du bist herzlich eingeladen!
In Medien, Schulen, Unternehmen und im privaten Umfeld wird zunehmend häufiger über psychische Gesundheit gesprochen. Und doch bleibt sie für viele ein abstraktes Konzept. Etwas, das wichtig ist (und sich verkauft), aber auch irgendwie „weit weg“ erscheint. Was heißt es eigentlich, psychisch gesund zu sein? Bedeutet es, stets glücklich, stressfrei und emotional stabil zu sein? Ist es die Abwesenheit von psychischer Krankheit? Oder steckt mehr dahinter?
Die WHO definiert psychische Gesundheit als einen Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, alltägliche Belastungen bewältigen, produktiv arbeiten und zu ihrer Gemeinschaft beitragen kann. Diese Definition ist fachlich korrekt und weit verbreitet – und dennoch: Sie bleibt für viele Menschen schwer greifbar. Es klingt nach einem Idealzustand, der schwer erreichbar scheint und womöglich stellst auch du dir die Frage: “Und was heißt das genau für mich?“
Psychische Gesundheit als individueller Erlebens-Prozess
Stell dir vor, psychische Gesundheit wäre nicht nur ein Zustand, den man erreicht, sondern ein Weg, auf dem du dich jeden Tag bewegst und der sich an deinem Erleben orientiert: an deinen Gedanken, deinen Gefühlen, deinen Beziehungen, deinen Kapazitäten und deinen inneren Bewegungen. Psychische Gesundheit ist nicht schwarz oder weiß, krank oder gesund, „normal“ oder „sonderlich“.
Psychische Gesundheit ist ein dynamischer Erlebens-Prozess, der sich immer wieder wandelt – durch Erfahrungen, Krisen, Beziehungen, Entwicklungen, innere Prozesse und äußere Einflüsse.
Besonders in Fachkreisen setzt sich immer stärker die Idee durch, unsere psychische Gesundheit nicht als starren Zustand, sondern als kontinuierliches Erleben und dynamisches Gleichgewicht auf einem Spektrum zu betrachten.
Die Arenus Akademie orientiert sich dabei an das Salutogenese-Modell von Aaron Antonovsky, der Gesundheit als Kontinuum und nicht als bloße Abwesenheit von Krankheit beschreibt.
Diese Perspektive ist nicht nur wissenschaftlich fundiert, sondern auch menschlich nachvollziehbar. Sie rückt dich als Person in den Mittelpunkt – mit allem, was dich ausmacht.
Das bedeutet: Du musst nicht „vollkommen gesund“ sein, um dich gesund zu fühlen. Und nicht jeder, der eine psychische Diagnose hat, ist automatisch „krank“ im eigentlichen Erleben.
Fallbeispiel:
Anna-Lena ist 38 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern. Sie arbeitet im Personalwesen und engagiert sich ehrenamtlich in ihrer christlichen Gemeinde. Sie kennt die kleinen Herausforderungen des Alltags und die großen Krisen des Lebens. In den letzten Jahren hat sie Trennungen, einen schweren Verlust, berufliche Umstellungen mitgemacht und tiefe Selbstzweifel, finanzielle Sorgen und Einsamkeit erlebt. Im Alltag jongliert sie ihre Rollen als Personalerin, Mama, Freundin, Tochter ihrer pflegebedürftigen Mutter und als Frau, die sich danach sehnt, wieder mehr zu sich zu finden. Anna-Lena nahm an unserem Präventionskurs teil und beschrieb sich als „nicht therapiebedürftig“. Dennoch fragte sie sich, ob sie psychisch gesund ist: „Ich bin oft überfordert, ich weine manchmal ohne Grund, ich habe Phasen der Erschöpfung und will auch mal niemanden um mich haben.“
In unserem#FmVm-Kurs lernte Anna-Lena, dass psychische Gesundheit kein entweder-oder ist: Entweder du bist gesund oder krank. Sie verstand, dass diese Kategorisierung nicht realistisch und auch nicht dienlich ist. Stattdessen erkannte sie, dass sie psychisch gesund ist, aber dennoch psychisch belastet ist. Sie erkannte die feinen Unterschiede und reflektierte, dass sie aufgrund schwieriger Lebensereignisse, häufigem Stress und ihrer Tendenz eigene Belastungsgrenzen zu überschreiten, aus dem Gleichgewicht geraten ist. Ihre Tränen, ihr Gefühl der Überforderung und die Reizüberflutung waren kein Ausdruck von Krankheit oder Unzulänglichkeit, sondern ein Ausdruck ihrer andauernden Belastung. Diese Sichtweise entlastete Anna-Lena und half ihr gleichzeitig sich selbst mit mehr Achtsamkeit und Mitgefühl zu begegnen, Stolz für sich zu empfinden und ihren eigenen Zustand ernst zu nehmen. Den klar wurde auch: Je länger andauernde Überforderung anhält, desto höher wird das Risiko ernstzunehmende psychische Probleme zu entwickeln.
Psychische Gesundheit darf individuell sein
Psychische Gesundheit lässt sich nicht objektivieren und wir dürfen aufhören zu versuchen, standardisierte Messwerte für Gesundheit zu definieren: Intuitiv können wir sagen: Der Mensch hat es satt in Kategorien geschoben und auf harte Konstrukte reduziert zu werden. Wir leben in einer Zeit, in der sich Menschen danach sehnen, als Individuum einen würdigen und wertgeschätzten Platz zu bekommen.
Psychische Gesundheit ist ein dynamischer, lebenslanger und individueller Erlebens-Prozess. Was bedeutet: Zwei Menschen mit gleicher Geschichte, gleichen Erfahrungen, gleichen kognitiven und körperlichen Voraussetzungen können sich dennoch unterschiedlich wohl – gesund – gestresst – belastet oder krank fühlen, erleben und verhalten.
Wenn du psychische Gesundheit als etwas begreifst, das sich an deinem Erleben, an deinem Zustand, an deinen Möglichkeiten und Bedürfnissen orientiert, wirst du beginnen dich selbst besser zu verstehen und die Verbindung zu dir selbst zu stärken.
Die Vorteile eines individuellen Verständnisses psychischer Gesundheit
Psychische Gesundheit ist ein individueller Erlebens-Prozess. Diese Sichtweise ist durchaus komplex für unser Gesundheitssystem (keine Frage), aber sie kann dich enorm entlasten:
- Lebensnah und alltagstauglich: Du erkennst dich in deiner Lebensrealität wieder und musst dich nicht in theoretische Modelle einordnen. Deine Erfahrungen und Gefühle, deine Herausforderungen und Bewältigungsstrategien werden sichtbarer. Du wirst als du selbst gewürdigt!
- Entstigmatisierend: Wenn psychische Gesundheit ein Spektrum ist, dann ist es normal, sich mal besser und mal schlechter zu fühlen. Niemand ist nur gesund oder nur krank. Das nimmt Druck, falsche Erwartungen und auch Scham oder Versagensgefühle. Zudem reduziert es unsere toxische Gewohnheit sich miteinander zu vergleichen und uns gegenseitig zu bewerten.
- Fördert Selbstwirksamkeit: Wenn du erkennst, dass deine Gedanken, dein Verhalten und deine Entscheidungen einen Einfluss haben, bekommst du wieder mehr Kontrolle über dein Erleben. Dann ergibt folgender Satz einen Sinn: Du hast einen großen Einfluss auf deine psychische Gesundheit!
- Ermöglicht Individualität: Jeder Mensch geht ihren/seinen eigenen Weg. Dieses Verständnis lässt Raum für deine Einzigartigkeit, deine Geschichte, deine Ressourcen und Potenziale. Du musst nicht mehr so „funktionieren“, wie andere.
- Unterstützt Frühprävention: Du lernst, früher hinzuschauen, besser zu spüren, was dir guttut oder schadet. Das hilft frühzeitig und effektiv entgegenzuwirken, bevor Belastungen zu Erkrankungen werden.
Was du für dich mitnehmen kannst
Wenn du dich in einem schwierigen Moment fragst, ob du psychisch gesund bist, dann versuche, die Frage umzudrehen:
„Was bedeutet psychische Gesundheit für mich?“
„Was brauche ich, um mich gesund und wohl zu fühlen?“
Psychische Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von Tränen oder Zweifeln und hat auch nichts mit ständiger Positivität zu tun. Sie zeigt sich in deiner Courage, dich selbst ernst zu nehmen. In deiner Fähigkeit zu reflektieren. In deinem Wunsch, gut für dich zu sorgen. Und in deiner Entscheidung, Hilfe anzunehmen, wenn du sie brauchst.
Es lohnt sich, psychische Gesundheit neu zu denken. Weg von Diagnosen und starren Modellen und hin zu dir: deinem Erleben, deiner Entwicklung, deinen Bedürfnissen, deiner äußeren und inneren Welt.
Bleibe neugierig – und begleite uns im nächsten Artikel auf dem Weg durch die vier Phasen psychischer Gesundheit.
Wir danken Dir für Deine Zeit und Aufmerksamkeit!