Katrin, eine Frau, bei der alles normal zu sein scheint. Sie steht morgens auf, weil sie muss. Sie geht duschen und macht sich ein kleines Frühstück, weil es dazugehört. Dann geht sie zur Arbeit, lächelt, hält Smaltalk und erledigt ihre Aufgaben. Alles wirklich normale? Nein, denn Katrin fühlt sich dabei innerlich wie leergefegt. Eigentlich hat sie keinen Hunger, spürt keine Freude und hat auch keinen Plan, wie es weitergehen soll. Abends fällt sie erschöpft aufs Sofa. Während der Fernseher läuft, rauscht es in ihrem Kopf. Ihre ambulante Therapeutin sagt: „Wir kommen langsam nicht weiter. Vielleicht wäre eine stationäre Behandlung sinnvoll.“
Kennst du das Gefühl, jeden Tag gegen eine Wand zu rennen? Als würde dein Leben im Standby-Modus laufen – du funktionierst wie auf Autopilot, aber den Kontakt zu dir oder zum „echten Lebendigsein“ hast du verloren?
Dann lies gerne weiter. Denn: Eine Klinik ist kein Eingeständnis von Schwäche oder Aussichtslosigkeit. Sie kann ein wichtiger erster Schritt in Richtung Stabilität oder Besserung sein und ein wichtiger kleiner Schritt zurück zu dir. Vielleicht brauchst auch du einfach nur den Mut, dich mit Thema „stationäre Therapie“ in Ruhe auseinanderzusetzen.
Genau hier stellen wir dir vor, warum es manchmal Sinn macht sich in eine stationäre psychosomatische Behandlung zu begeben.
Das eigentliche Problem
Was viele nicht wissen: Der Alltag mit einer psychischen Erkrankung sieht nicht immer nach Drama aus. Oft wirkt er „ganz normal“. Nach Terminen, nach Arbeit und ganz viel Smalltalk. Doch im Inneren, da ist vielleicht seit langer Zeit eine Leere oder Unruhe und Daueranspannung. Oder eine Angst, die wie ein erdrückender Schatten mitläuft. Selbst wenn im Außen alles noch funktioniert, kann das innere Aufschreien schon lange so lauten: Ich kann nicht mehr!
Und dann kommen die Fragen: Reicht ambulant noch? Bin ich „schlimm genug“ für eine Klinik? Und vor allem: Was sagt mein Umfeld, wenn ich mich rausziehe?
Indikation einer stationären Therapie
Generell gilt: Eine ambulante Psychotherapie hat immer Vorrang vor einer stationären Therapie.
Eine stationäre Behandlung, z.B. an einer psychosomatischen Klinik, ist indiziert, wenn die Weiterbehandlung mit ambulanten Maßnahmen nicht mehr ausreicht. Wenn also eine ambulante Therapie nicht ausreichend für Stabilisierung oder Besserung sorgen kann. Oder wenn eine ambulante Therapie (wegen z.B. zu langer Wartezeiten) erst gar nicht wahrgenommen werden kann.
Die stationäre Krankenhausbehandlung wird über eine:n ambulante:n Psychotherapeut:in, über eine:n Fachärzt:in oder über eine:n Allgemeinmediziner:in verordnet.
Was sagt die Forschung?
Laut aktuellem Gesundheitsreport der DAK erhielten 2022 fast 811.000 Menschen eine stationäre psychosomatische Behandlung. Tendenz steigend. Und warum?
- Viele psychische Erkrankungen müssen multimodal und in der Tiefe bearbeitet werden – das braucht mehr als eine Stunde pro Woche und eine deutlich geeignetere Umgebung.
- Die Wartezeiten auf eine ambulante Psychotherapie sind nach wie vor düster – innere Not und Leidensdruck lassen sich nicht pausieren. Betroffene brauchen schnelleren Zugang zur professionellen Hilfe.
Stationäre Therapie bedeutet: Du bist für eine bestimmte Zeit raus aus dem Alltag, raum aus dem Job und raus auf deinem familiären Umfeld (außer bei teilstationärer Therapie). Stattdessen: Mehrere Stunden verschiedene Therapie pro Tag. Mit Struktur und Sicherheit. Und das Wichtigste: Ein professionelles Team ist für dich da, das dich auffängt.
Die Frage aber lautet: Wann sollte ich in eine stationäre Therapie?
12 Überraschende Gründe für eine stationäre Therapie
Lies dir bitte die folgenden Gründe aufmerksam durch. Was trifft auf dich zu?
1: Du fühlst dich seit langer Zeit sehr belastet. Psychisch, wie körperlich. Doch eine deutliche Besserung trat bisher nicht ein.
Du warst deswegen auch schon bei Ärzt:innen, aber es passiert einfach zu wenig.
Ein Beispiel: Du hast Schlaf- und Konzentrationsprobleme, fühlst dich oft antriebslos und erschöpft. Du musst dich täglich zu allem aufraffen, dein Appetit ist wie weggeblasen und du hast das Gefühl mit keinem über deine Situation reden zu können. Medizinisch ist alles abgeklärt, doch bisher konnte dir keiner eindeutig sagen, was dir fehlt.
2: Du leidest unter psychischen Problemen, die sich auch auf deinen Körper auswirken.
Dein Körper rebelliert. Ständige Kopfschmerzen, Magenprobleme, Verspannungen, Erschöpfung. Medizinisch ohne klare Ursache.
Ein Beispiel: Du hast immer wieder Migräneattacken, dir ist immer wieder schwindelig oder du hast immer wieder ein lautes Piepen im Ohr und kannst deswegen nachts nicht mehr schlafen. Doch niemand findet eine klare Ursache, außer „Stress“. Du bist frustriert, denn du simulierst deine Beschwerden nicht, sie sind real und beeinträchtigen erheblich deinen Alltag.
3: Es gibt verschiedene Probleme in deinem Leben, die sich negativ auf dein Wohlbefinden auswirken.
Du steckst buchstäblich in einer Lebenskrise oder stehst in einer Sackgasse. Immer wieder dieselben destruktiven Gedanken, Verhaltensmuster und Rückfälle. Du merkst: Allein schaffst du’s nicht.
Ein Beispiel: Du bist seit 15 Jahren verheiratet, aber schon lange nicht mehr glücklich in deiner Ehe. Doch nach außen hin ist alles bestens. Vor zwei Jahren gab es einen schweren Verlust, von dem du dich bis heute nicht erholen konnten. Auch beruflich fühlst du dich ausgebrannt. Es fehlt an Möglichkeiten Kraft zu tanken und zur Ruhe zu kommen. Stattdessen fühlst du dich immer unglücklicher und hast das Gefühl, mit deinem Leben bestraft worden zu sein. Aus innerem Frust rauchst du immer mehr und neigst zu Heißhungerattacken, die dann wieder Scham und Schuld verursachen. Ein Teufelskreis.
4: Du hast immer wieder Fehlzeiten auf der Arbeit. Trotzdem geht es dir danach nicht besser.
Du spürst: So geht’s nicht weiter. Und du willst nicht mehr warten, bis du komplett zusammenbrichst.
Ein Beispiel: Immer wieder bist du krankgeschrieben. Hier mal eine Woche, da mal zwei Wochen. Oder sogar mal einen Monat am Stück. Du bist gefühlt entweder ständig krank oder so erschöpft und ausgelaugt, dass dich die kleinsten Dinge viel Kraft abverlangen. Doch trotz der „Auszeiten“ kehrst du belastet und ausgebrannt an deinen Arbeitsplatz zurück und merkst, wie das Kartenhaus unter die zusammenzubrechen droht.
5: Du lässt dich medizinisch oder therapeutisch behandeln, doch leider ohne klare Besserung.
Du hast Gespräche, nimmst vielleicht Medikamente, aber es ändert sich nichts spürbar. Du trittst auf der Stelle.
Ein Beispiel: Du bist seit einem Jahr in ambulanter Psychotherapie oder nimmst seit einiger Zeit ein Antidepressivum und dennoch geht es dir schlecht. Deine Beschwerden bestimmen weiterhin über dienen Alltag und schränken dich ein.
6: Trotz Therapie geht es dir immer schlechter. Dein Leidensdruck wird immer größer.
Du funktionierst nur noch. Du gehst deinen Verpflichtungen nach, aber innerlich bist du wie betäubt. Kein Gefühl, keine Energie, kein Sinn. Es wird immer nur schlimmer. Es wird unerträglich.
Ein Beispiel: Obwohl du dir echt Mühe gibst alles richtig zu machen und um Hilfe bemüht bist, merkst du, dass dein Zustand sich immer weiter verschlechtert. Wann knallt es? Du fragst dich, wie lange du dem noch gewachsen bist.
7: Der Alltag wird zur Qual.
Du ziehst dich immer mehr zurück und alles ist nur noch eine ungeheure Anstrengung. Sogar ein Telefonklingeln wird zur Belastung. Nachrichten bleiben unbeantwortet, die Wohnung verwahrlost und du hast inzwischen Mühe dich selbst zu versorgen.
Ein Beispiel: Einfach alles wächst dir über den Kopf hinaus. Es ist zu viel und du hast das Gefühl von den letzten Fetzen deiner Kräfte zu zehren. Selbst kleine alltägliche Dinge wie Essenzubereiten oder Duschen kosten dich Kraft und Überwindung.
8: Du fühlst dich sinnlos oder hast lebensmüde Gedanken oder Wünsche.
Inzwischen denkst du an den Tod. Manchmal kommen dir Gedanken wie: „Wenn ich morgen nicht mehr aufwache, wäre das okay.“
Vielleicht besteht sogar triftiger Grund zur Sorge, weil du nicht mehr für deine oder die Sicherheit anderer Menschen sorgen kannst.
Ein Beispiel: Du empfindest dein Leben als sinnlos und deine Gedanken an den Tod werden immer konkreter. Du merkst, du bist nicht mehr in der Lage gute Entscheidungen für sich zu treffen.
Oder du bist inzwischen so kraftlos und antriebslos, dass du dich auch nicht mehr um deine Kinder kümmern kannst. Es droht Vernachlässigung oder sogar Gefährdung. Du sehnst dich nach einen geschützten Raum, sodass dein Leben und das Wohl anderer geschützt bleibt.
9: Dein:e Ärzt:in oder Psychotherapeut:in empfiehlt dir eine stationäre Therapie.
Ein Beispiel: Deine ambulante Therapie läuft langsam aus, aber du benötigst weiterhin professionelle Unterstützung. Dein:e Therapeut:in hat dir einen Klinikaufenthalt empfohlen, um eine weitere Stabilisierung zu erreichen und so die Wartezeit auf eine andere ambulante Behandlung zu überbrücken.
10: Eine örtliche Trennung ist sinnvoll oder sogar nötig.
Du brauchst Schutz. Weil du dich selbst schädigst. Oder weil dein privates oder berufliches Umfeld dich emotional, psychisch oder sogar körperlich gefährdet.
Ein Beispiel: Zu Hause bist du Everybody’s Darling: immer präsent und immer am funktionieren. Doch es gibt Probleme, die du immer wieder herunter schluckst. Du merkst, dass Abstand dir helfen könnte, endlich wieder durchatmen zu können. Endlich wieder zu sich zu finden. Endlich mal Zeit für sich zu haben und sich gewisser Dinge bewusst zu werden.
11: Deine Beziehungen leiden. Dein zustand zieht immer größere Kreise.
Du weißt nicht mehr, wer du bist. Zwischen den Erwartungen anderer und deinem eigenen inneren Chaos hast du dich verloren.
Auch deine Beziehungen leiden. Es gibt keine Leichtigkeit mehr. Dein:e Partner:in ist überfordert, du fühlst dich unverstanden und ihr driftet ab. Es gibt ein nebeneinander her, kein Miteinander mehr.
Ein Beispiel: Dein:e Partner:in äußert dir gegenüber, dass sie an der Beziehung zweifelt, aber bleibt wegen deiner Situation bei dir. Das gibt dir ein fürchterliches Gefühl von Wut, Enttäuschung, Einsamkeit und Traurigkeit. Du versuchst alles, um dich zusammenzureißen, aber dennoch, in deinem Inneren liegst du am Boden.
12: Die Wartezeiten für eine ambulante Psychotherapie ist zu lang.
Du merkst, du brauchst nicht erst in 6 Monaten Hilfe, sondern innerhalb der nächsten Wochen, höchsten paar Monate. Du ziehst deine Notbremse und übernimmst Verantwortung für deine Situation.
Dein Weg in die Klinik
Welche der 12 Gründe haben auf dich zugetroffen? Wo hast du dich wiedererkannt? Gab es einen Grund, der dich überrascht hat?
Tatsächlich sind diese Gründe den meisten eher unbekannt oder unklar. Wir denken bei einer Klinik an eine „Irrenanstalt“ oder an ein „Abstellgleis“. Aber das ist Quatsch!
Stationär bedeutet nicht Endstation. Es bedeutet: Du nimmst deine psychische Gesundheit ernst. Und das ist verdammt wichtig!
So kannst du eine stationäre Therapie anbahnen:
- Sprich mit deiner Ärzt:in oder Therapeut:in.
- Sag offen, wie es dir geht. Halte nichts zurück.
- Lass dir eine Einweisung für eine psychosomatische oder psychiatrische Klinik ausstellen.
- Informiere dich über Einrichtungen (z. B. über deine Krankenkasse, Internet, Empfehlungen).
Wichtig: Du brauchst keine offiziell perfekte Diagnose oder einen „Zusammenbruch“. Du brauchst Ehrlichkeit, vor allem dir gegenüber.
Übrigens ähneln die Gründe für einen Klinikaufenthalt auch den Gründen für eine ambulante Psychotherapie.
Wie viele Gründe sind Grund genug?
Hast du dich in einem dieser Punkte wiedererkannt? Dann tu dir selbst einen Gefallen und sprich heute noch mit jemandem darüber. Du musst nicht alles alleine stemmen. Vielleicht ist eine Klinik nicht das Ende deiner Freiheit – sondern der Anfang deiner Gesundung.
Schreib uns, wenn du Fragen hast. Oder lies den nächsten Artikel: „Wie sich der erste Tag in der Klinik wirklich anfühlt„. Wir sind da.
Oft werden wir gefragt, wie viele Gründe zutreffen müssen, um eine stationäre Therapie zu rechtfertigen. Unsere Antwort ist eindeutig:
Ein Grund reicht. Denn nicht die Anzahl der Gründe ist entscheidend. Es ist entscheidend, wie stark deine Lebensqualität leidet, wie gering deine Kraftreserven geworden sind und vor allem wie hoch dein Leidensdruck bereits ist.
Selbst wenn kein:e Therapeut:in und kein:e Ärzt:in bisher auf die Idee gekommen ist, mit dir über eine stationäre Therapie zu sprechen, heißt es noch lange nicht, dass es dafür keine Gründe gibt.
Wir danken dir für deine Zeit und Aufmerksamkeit.