Der Entschluss für eine stationäre Therapie (z.B. an einer psychosomatischen Klinik) ist ein großer Schritt. Hast du dich für eine stationäre Behandlung entschieden und alle wichtigen Aufgaben dafür erledigt, rückt irgendwann der Tag der Aufnahme immer näher. Es wird ernst. Vielleicht fühlst du dich nervös, unsicher oder sogar ängstlich. Vielleicht schwirren dir viele Fragen durch den Kopf:
- Wie wird der erste Tag ablaufen?
- Was erwartet mich konkret?
- Werde ich mich dort überhaupt wohlfühlen?
- Wird mir die Klinik mir weiterhelfen?
- Habe ich mich richtig entschieden?
Das ist völlig normal. In diesem Artikel nehmen wir dich mit durch deinen ersten Tag in der Klinik. Nicht sachlich-distanziert, sondern ganz nah dran. Damit du dich vorbereitet, sicher und ruhiger fühlst.
Wenn du noch unsicher bist, ob eine stationäre Therapie das Richtige für dich wäre, lies hier weiter: Stationäre Therapie? Warum eine Klinik manchmal das Beste ist (12 überraschende Gründe)
Der Abschied
Der Tag der Anreise beginnt damit, dass du Abschied nehmen musst. Das gehört nicht unmittelbar zu deinem Klinikaufenthalt dazu. Aber es gehört zum Prozess dazu, dich auf die stationäre Therapie einzustimmen.
Nicht jedem Menschen fallen Abschiede leicht, daher ist es gut, wenn du dir dafür deine Zeit nimmst. Was brauchst du, um dich für eine bestimmte Zeit von deinen Angehörigen, deiner Familie oder deinen Freunden und Freundinnen zu trennen? Es tut gut, sich frühzeitig ein paar Gedanken darum zu machen und den Abschied für dich und z.B. deine Liebsten so zu gestalten, dass es sich gut für euch anfühlt.
Tipp: Es hilft enorm über Abschied und die noch ungewisse Zeit an der Klinik miteinander zu reden. So lassen sich am besten Unsicherheiten und Ängste klären.
Mit dem Klinikaufenthalt könnte eine neue Zeit für dich beginnen. Dein Leben könnte ein paar neue (hoffentlich positive) Wendungen bekommt. Also nimmst du symbolisch auch von all dem Abschied, was dich in deine schwierige Situation gebracht hat. Selbst wenn all dein Kummer und deine Belastungen nicht mit einem Mal weggezaubert werden, darfst du dich symbolisch mit dem Abschied für etwas Neues öffnen.
Ankommen und durchatmen
Dein erster Tag beginnt mit deiner Ankunft an der Klinik. Du stehst vielleicht mit klopfendem Herzen vor dem Eingang und weißt noch gar nicht so recht, wohin mit dir. In dir herrscht vielleicht ein Gefühlschaos mit Nervosität, Aufregung, Vorfreude, gemischt mit Angst, Unsicherheit, Sorgen und Traurigkeit. Und dann prasseln so viele neue Eindrücke auf dich ein. Alles ist neu und unbekannt.
Versuche, bei Ankunft an der Klinik im Augenblick zu bleiben. Nimm wahr, was um dich herum geschieht, beobachte achtsam. Wie wirkt die Klinik auf dich? Hast du dir den Eingangsbereich einer Klinik so vorgestellt? Wie wirken die Menschen auf dich? Es hilft sich auf das Geschehen um dich herum zu konzentrieren, damit dein inneres Chaos dich nicht völlig übermannt.
Mache dir genau jetzt bewusst, dass etwas Wertvolles beginnt: Du nimmst dir Zeit für dich.
An der Rezeption wirst du begrüßt und bekommst die ersten wichtigen Informationen (Parkplatz, WLAN, Toiletten, dein Zimmer, etc.). Manchmal bekommst du direkt einen kurzen Rundgang oder wirst auf dein Zimmer gebracht. Hier kannst du erstmal durchatmen, deine Sachen auspacken und ein bisschen ankommen.
Tipp: Packe dir etwas Vertrautes ein – ein Lieblingspulli, ein Foto, ein kleines Notizbuch. Eine aufmunternde Playlist. Es hilft.
Die Aufnahme: medizinisch und menschlich
Dann steht meist schon der erste Termin an: die medizinische Aufnahmeuntersuchung. Eine Ärztin wird mit dir deinen Gesundheitszustand durchgehen, bisherige Diagnosen, deine bisherigen Medikamente klären und dich allgemein erfassen.
Keine Sorge: Du musst nichts „richtig machen“. Es geht darum, ein Bild von deinem Zustand zu bekommen.
Tipp: Das solltest du dabei haben:
- Krankenversichertenkarte
- Einweisungsschein
- Deine aktuelle Medikamentenliste
- Bisherige wichtige Arztberichte/Befunde (falls vorhanden)
- Psychiatrische oder psychotherapeutische Befunde oder Briefe
Vor allem, wenn Du eine Vorgeschichte mit komplizierten, langandauernden oder medizinisch nicht ausreichend begründeten körperlichen Beschwerden hast, ist die Vorlage von medizinischen Unterlagen (z.B. Voruntersuchungen) oft hilfreich.
Entsprechend der ärztlichen Einschätzung wird gemeinsam mit dir über verschiedene physiologische und körpertherapeutische Verordnungen gesprochen.
Erstes Gespräch mit deiner Bezugstherapie
Das Herzstück deines ersten Tages ist oft das psychotherapeutische Aufnahmegespräch. Du lernst deine Bezugstherapeutin oder deinen Bezugstherapeuten kennen.
Die bezugstherapeutische Aufnahme dauert ca. 50 Minuten. Klingt nach einem langen Termin, aber diese 50 Minuten werden sehr schnell vergehen. Ziel des Termins ist es dich kennenzulernen, diagnostisch abzuschätzen, wo du stehst und natürlich zu klären, welche Erwartungen und Wünsche du mitbringst:
- Allgemeine biographische Informationen
- Warum bist du hier?
- Wie haben sich deine Beschwerden und Probleme entwickelt?
- Diagnostische Abklärung
- Familiäre Vorgeschichte mit psychischen Belastungen
- Welche Therapieerfahrungen hast du?
- Was sind deine Ziele?
Tipp: Du musst nicht alles auf einmal erzählen. Aber sei ehrlich. Auch mit dem, was du (noch) nicht benennen kannst.
Die bezugstherapeutische Aufnahme ist aus zwei Gründen wichtig:
- Du lernst die Person kennen, die dich bezugstherapeutisch betreuen wird. Sie ist deine primäre Ansprechperson in der Klinik. Gemeinsam mit ihr wirst du deine Einzeltherapie erleben.
- Diese Therapeutin bzw. Therapeut legt nach eurem Erstgespräch deinen Behandlungsplan fest. Sie stellt passende Therapien für dich zusammen, damit du möglichst optimal von deiner stationären Behandlung profitieren kannst.
Orientierung & erste Struktur
Nach den Gesprächen bekommst du erste allgemeine Informationen zum Wochenablauf, zu Therapien und Gruppenangeboten.
Tipp: Nutze diesen ersten Tag auch, um Fragen zu stellen: Wo ist was? Wie läuft das mit Medikamenten? Was mache ich, wenn ich einen schlechten Tag habe? Und wo stehen die Waschmaschinen?
Du bekommst einen vorläufigen Therapieplan: Einzelgespräche, Gruppentherapien, Bewegung, Achtsamkeit, kreative Angebote, Mittagspause. Es kann viel wirken, aber es ist klar strukturiert. Vielleicht nimmst du sogar schon an einer ersten Einheit teil – je nach Klinik ist das sehr individuell.
Weitere Termine
Manche Kliniken bieten das Konzept der Co-Therapie an. Das sind psychosozial geschulte Mitarbeitende, die dich als zusätzliche Ansprechpersonen begleiten werden. So kann es sein, dass du Themen aus deiner Einzelpsychotherapie co-therapeutisch vertiefen wirst. Es kann sein, dass mit dir z.B. Befragungen (z.B. mit Fragebögen), Expositionstherapien, Skilltraining oder therapeutische Tischbegleitung durchgeführt wird.
Auch hier wird am ersten Tag an der Klinik ein Aufnahmegespräch mit dir geführt.
Viele Kliniken haben das Konzept der „Patenschaft“. Das sind Mitpatientinnen oder Mitpatienten aus deiner Station, die dich bei deiner Ankunft begrüßen und dir in der ersten Woche zur Seite stehen. Sie helfen dir dabei, dich leichter auf deiner Station zu integrieren, erste Kontakte zu knöpfen und deine Fragen zu klären.  Im Laufe des ersten Tagen wirst du deine Patin oder deinen Paten kennenlernen und einen Rundgang durch die Station oder die Klinik machen.
Der erste Abend: Ruhe finden
Der erste Tag ist aufregend. All die Termine und neue Bekanntschaften sind anstrengend. Und das nicht nur, weil so viel Neues an einem Tag passiert, sondern weil du von deinen Belastungen, Beschwerden, seelischen Krisen und deiner Lebenssituation erzählen wirst. Das ist für viele emotional sehr aufwühlend! Es kann sein, dass du dir der Tragweite deiner Situation erst richtig bewusst wirst. Kein schöner Moment, wenn so vieles hochgeholt wird! Aber ein wichtiger Moment.
Es kann sein, dass du am Ende des ersten Tages reizüberflutet, erschöpft und vielleicht ein bisschen überfordert bist. Dazu kommt Heimweh. Es kann auch sein, dass die erste Nacht anstrengend wird. All das ist normal. Es passiert sehr viel direkt am ersten Tag.
Gib dir selbst die Erlaubnis, dich auszuruhen. Du musst niemandem etwas beweisen. Der Weg beginnt gerade erst.
Tipp: Überlege, was wird dir am ersten Abend in der Klinik gut tun? Um dich z.B. zu erholen, um die Reizflut zu verarbeiten und um ein bisschen Zuhause mit in die Klinik zu nehmen. Vielleicht hilft dir ein kleiner Spaziergang, ein Tagebucheintrag oder einfach ein Tee in der Gemeinschaftsküche. Oder du ziehst dich zurück. Alles ist vollkommen okay.
Fazit: Du bist angekommen
Der erste Tag in der Klinik ist ein Startpunkt, ein Ankommen. Vielleicht noch etwas holprig und unsicher. Aber: Du bist nicht allein. Und du hast den mutigen Schritt getan, dir Hilfe zu holen.
Hast du den Schritt zur Klinik noch vor dir? Dann nimm diesen Artikel als Einladung: Bereite dich vor. Aber geh mit offenem Herzen. Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Und du weißt sicherlich, dass sich der erste Schritt nicht immer leicht anfühlt. Aber oft ist der erste Schritt der mutigste von allen.
Wir danken Dir für Deine Zeit und Aufmerksamkeit