Es gibt keine negativen und positiven Gefühle – es gibt Rückführer und Voranbringer

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Ein psychoedukativer Beitrag über positive und negative Gefühle.

Unsere Gefühle begleiten uns von unserem ersten bis zu unserem letzten Atemzug. Doch wie kommt es, dass Gefühle so viel Macht auf uns ausüben? 

Dieser Artikel handelt von einer neuen Perspektive auf unsere Gefühle. Dabei möchten wir zeigen, warum es keine negativen oder positiven Gefühle geben sollte und was passiert, wenn wir unsere Gefühle so hart kategorisieren.

Wie oft wünschen Sie sich, Ihre Gefühle besser in den Griff zu kriegen? Oder sind Sie eher jemand, der sagt, dass Sie sich gar nicht von Gefühlen leiten lassen, weil Sie ein rational denkender und entscheidender Mensch sind?

Tatsächlich gibt es keinen Augenblick in unserem Leben, der frei von Gefühlen ist. Sie sind stets treu an unserer Seite. Täglich erleben wir eine ganze Fülle verschiedener Gefühle. Mal schwingen sie ganz leise im Hintergrund, mal kommen sie intensiv und kraftvoll über uns.

Negative & positive Gefühle

Wir neigen dazu, unsere Gefühle in negative/ schlechte und positive/ gute Gefühle zu kategorisieren. Das ist nichts anderes, als eine Bewertung dessen, was wir erleben.

Durch Kategorisierung versucht unser Verstand das Erlebte möglichst schnell und möglichst einfach zu erfassen und zu kontrollieren.

  • Mit negativen Gefühlen meinen wir Gefühle, die uns runterziehen, uns Kraft und Zeit kosten, unsere Motivation rauben oder unseren Antrieb mindern.
  • Als schlecht bewerten wir Gefühle, wenn wir nicht wissen, wie wir mit ihnen umgehen sollen. Wenn uns also ein Ventil fehlt und diese Gefühle sich so sehr in uns anstauen, dass sie uns innerlich auffressen oder uns schaden.

Typische Gefühle, die als negativ oder schlecht bewertet werden, sind Scham, Schuldgefühle, schlechtes Gewissen, Wut, Ärger, Zorn, Eifersucht, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Angst oder auch Traurigkeit.

  • Mit positiven Gefühlen meinen wir Gefühle, die „Spaß“ machen. Es sind Gefühle, die uns in unserem Alltag, bei unserem Tun, Erleben und Denken nicht stören. Gefühle, die uns beflügeln, uns Motivation, Antrieb und Kraft schenken.
  • Als gut bewerten wir Gefühle, die uns aktivieren und fördern. Mit guten Gefühlen scheinen wir uns in unserem Leben gleich ein ganzes Stück sinnvoller, gesünder und lebendiger zu fühlen.

Typische Gefühle, die als positiv oder gut bewertet werden, sind Freude, Dankbarkeit, Liebe, Neugier, Zufriedenheit, Leidenschaft, Vertrauen oder Erleichterung.

Diese Art, Gefühle zu bewerten ist inzwischen gängig geworden. Es gibt eine Fülle von Artikeln und Ratgebern mit Schlagtiteln wie: „Wie du deine negativen Gefühle bewältigst“. Auch die Fachliteratur stellt bis heute oft eine Kategorisierung in negative und positive Gefühle auf. Das ist insofern schade, dass sich dadurch eine bewertende Sichtweise auf etwas ganz Wesentliches in unserem Leben unreflektiert  verselbstständigt .

Wir glauben, es hilft uns nicht weiter, wenn wir Prozesse der Bewertung so selbstverständlich und nicht kritisch hinterfragt stehen lassen. Stattdessen dürfen wir uns fragen, inwiefern uns diese Bewertungen sogar schaden.

Folgen der Bewertung in negative & positive Gefühle

Die Folgen einer Kategorisierung in negative/ schlechte und positive/ gute Gefühle sind:

  1. Wir beginnen negative Gefühle zu „verteufeln“ und positive Gefühle zu hypen. Damit machen wir sie zu unserem persönlichen Feind oder Freund. Gefühle werden zum Problem, das wir bewältigen müssen.
  2. Wir beginnen uns negativen Gefühlen ausgeliefert zu fühlen. Das trägt unbewusst dazu bei, dass wir uns selbst in eine Opferrolle bringen. Wir werden quasi zu Opfern unserer Gefühle. Die Folge ist, dass wir uns durch unsere eigenen Bewertungen blockieren und uns selbst der Fähigkeiten berauben mit unseren Gefühlen besser umgehen zu können.
  3. Durch diese Bewertung streben wir nach einem einseitigen Leben, geprägt durch positive Gefühle. Vor allem in der Szene der Persönlichkeitsentwicklung und in der spirituellen Szene wird positiven Gefühlen viel Aufmerksamkeit geschenkt, wohingegen negative Gefühle am besten „ausgeschaltet“ werden sollen. „Werde für immer deine Blockaden los“ heißt es oft. Doch dieses einseitige Prinzip funktioniert nicht. Menschen, die vergebens versuchen keine negativen Gefühle mehr zu fühlen, fühlen sich plötzlich wie „Versager“.
  4. Wir neigen dazu uns mit unseren Gefühlen zu identifizieren. Dies passiert insbesondere dann, wenn wir ein bestimmtes Gefühl über einen längeren Zeitraum erleben. So werten wir z.B. ein Gefühl von Minderwertigkeit als Zeichen dafür, dass wir als Person wirklich nicht gut genug sind. Das Gefühl von Scham wird so bewertet, dass man wirklich etwas Falsches getan hat. Und bei Schuldgefühlen machen wir uns zu einer Person, die nicht gut für andere ist, versagt oder die andere unglücklich macht. Aus negativen Gefühlen entsteht plötzlich eine „negative Persönlichkeit“.

Vor allem für Menschen mit Depressionen, Ängsten, Essstörungen, Abhängigkeitserkrankungen oder mit Burn Out ist es ganz entscheidend zu lernen mit allen Gefühlen wertschätzend umzugehen.

Die Bedeutung Ihrer Gefühle

Wir dürfen nicht vergessen, dass auch negative Gefühle entscheidend für unser Leben sind. Wir wären ohne sie nicht lebensfähig. 

Ohne negative Gefühle wüssten wir nur wenig über unsere Bedürfnisse, unsere Grenzen und Möglichkeiten. Wir wären schutzloser, ahnungsloser und nicht mehr beziehungsfähig. Wir wüssten nicht, ob wir uns falsch verhalten haben, dass wir verletzt sind oder dass wir uns in einer blöden Situation befinden.

Jedes Gefühl, das Sie erleben, ist gleich bedeutend und wichtig. 

Und hier ein Game Changer: Negative Gefühle verraten oft viel mehr über Sie, über Ihre Bedürfnisse und über Ihre Lebenssituation, als positive Gefühle.

  • Negative Gefühle sind Wegweiser. Sie liefern Informationen, dass etwas in Ihrem Leben oder in Ihrem Inneren aus dem Gleichgewicht geraten ist. Dass Sie in Ihrem Leben einen Weg verlassen haben, der Ihnen dient und Ihrer Persönlichkeit entspricht.

Positive Gefühle können sie „faken“, also vortäuschen, wenn Sie eine Maske aufsetzen, um in Ihrem Alltag besser zu funktionieren. Positive Gefühle lassen sich schauspielern und künstlich erzeugen. Doch Ihre wahren, tiefen Gefühle erzählen Ihre Wahrheit und diese Gefühle zu achten und zu sehen, ist wirklich wichtig!

Das heißt nicht, dass positive Gefühle für Ihre persönliche Entwicklung weniger bedeutsam sind, als negative Gefühle. Ganz im Gegenteil! Es geht nicht um wichtiger oder bedeutsamer. Es geht um Gleichwertigkeit.

Egal, welches Gefühl Sie im Alltag erleben, jedes Gefühl erzählt eine Geschichte über Sie und die Welt, in der Sie leben.

Eine alternative Sichtweise

Unsere Akademieleiterin und Dozentin Tatjana Heidemann (auch bekannt aus HPH-Psychologie) hat sich vor Jahren geschworen, Begriffe wie „negativ“ oder „positiv“ im Zusammenhang mit Gefühlen nicht mehr zu verwenden. Und das klappt bis heute bestens! Stattdessen spricht sie von unangenehmen und angenehmen Gefühlen. Auch das ist eine Form der Bewertung, jedoch eine viel seichtere. Wir haben diese Sicht- und Sprechweise inzwischen übernommen und empfehlen sie nun Ihnen weiter:

  • Unangenehme Gefühle fühlen sich eben unangenehm an. So ist es und wir brauchen es nicht zu leugnen oder beschönigen. So kann und darf Schamgefühl ein Arschloch ist, weil es Sie massiv blockieren kann. Und schlechtes Gewissen ist ein miserabler Berater. Durch diese Art der Kommunikation mit und über Gefühle wird ihnen ihre Macht über uns genommen und wir schaffen es deutlich besser unsere Gefühle einem Realitäts-Check zu unterziehen.
  • Angenehme Gefühle sind schön, machen Spaß. Auch das ist okay, es so zu sagen.

Doch zwischen unangenehm und angenehm gibt es keine weitere Unterscheidung in der Wertigkeit und Bedeutung.

Etwas Unangenehmes ist nicht gleich schlecht oder negativ. Etwas positives ist auch nicht gleich gut. Nur weil etwas unangenehm ist, ist es nicht bedeutungslos. Nur weil etwas positiv ist, ist es nicht in jedem Fall erstrebenswert.

Kommst Sie noch mit?

Mit diesen anderen Worten entkräften wir die harte Bewertung von negativ und positiv. In unserer Arbeit hat es sich bislang bewehrt, diesen Weg zu gehen, denn wir alle dürfen lernen mit unseren Gefühlen achtsamer und wertschätzender umzugehen.

Negative Gefühle sind Rückführer

Wir verraten Ihnen nun, wie Sie Ihre Gefühle in jedem Fall gewinnbringend betrachten können:

Unangenehme Gefühle sind Rückführer.

Unangenehme Gefühle sorgen dafür, dass Sie sich selbst, Ihrer Persönlichkeit, Ihren Bedürfnissen, Ressourcen und Werten treu bleiben. Sie sorgen dafür, dass Sie hinterfragen, was Sie da eigentlich treiben und ob es Ihnen und anderen dient.

Unangenehme Gefühle weisen Sie auf Themen in Ihrem Alltag und Leben oder in Ihrem Innerem hin, die gesehen und bearbeitet werden wollen. Diese Gefühle helfen Ihnen, einem Weg zu finden, der Ihnen und Ihrem Umfeld ein besseres Leben ermöglicht.

Positive Gefühle sind Voranbringer

Angenehme Gefühle sind Voranbringer.

Angenehme Gefühle bestätigen Ihnen, dass Sie Ihren Weg gehen und bekräftigen Sie darin, dass Sie sich entfalten, Ihre Ressourcen gut nutzen und Ihren Werten folgen.

Angenehme Gefühle bestätigen Ihnen, dass Sie in guter Balance leben – wie innen so auch außen.

In jedem Fall sind Gefühle hilfreich und dürfen niemals in einer guten Psychotherapie oder in einem guten Coaching fehlen. Persönlicher Wachstum ohne Gefühle ist undenkbar.

Dieser Artikel erschien erstmalig auf dem Blog von HPH-Psychologie und entstand im Rahmen der Blogparade „Umgang mit Gefühlen“ von Rosina Geltinger, www.rosinageltinger.de/blogparade.  Im übrigen sind Gefühle noch komplexer und wichtiger, als in diesem Artikel beschrieben. Wir unterscheiden auch zwischen erdachten und natürlichen Gefühlen, zwischen Fremd- und Eigengefühlen, sowie zwischen Lebensbegleitern und situativen Gefühlen.

Wir danken Ihnen für Ihre Zeit und Aufmerksamkeit.

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